Italien Kalabrien Süd                                             Angelika Gutsche

Coccorino:
Zimmer mit Aussicht

Kalabrien Coccorino Blick auf Stromboli...da kommt auch schon Domenico, ein bayrisch sprechender Kalabrese, der lange Jahre in München gearbeitet hat. Das  Häuschen, zu dem er uns bringt, liegt etwas unterhalb Coccorinos und entpuppt sich als Urlaubstraum. Fröhlich gelb gestrichen, von einem farbenprächtigen Garten umgeben, klebt es am Steilhang. Vor der kleinen Terrasse breitet sich ein unglaubliches Panaroma aus:  zur Rechten ragen die Felsen des Capo Vaticano aus dem Meer, vor denen gerade der glühende Sonnenball im Meer versinkt. Der Himmel strahlt in allen Rotschattierungen von Violett bis Orange. Ein Vorhang aus Dunst lüftet  sich und vor uns erhebt sich plötzlich das in den letzten Sonnenstrahlen erglühende Stromboli, eine der Liparischen Inseln, aus dem Meer. Deutlich erkennt man schwarze Rauch- und Aschewölkchen, die aus dem Krater  der vulkanischen Insel ausgestoßen werden, und bizarre, dunkle Wolkenformationen in den Abendhimmel zeichnen. Atemberaubend!

Heute, am 2. Juni, feiert Coccorino seinen Europatag. Auch wenn erst vKalabrienor einigen Tagen  die Niederlande und Frankreich die EU-Verfassung abgelehnt haben, hier in Coccorino ist die Europa-Euphorie ungebrochen. Rund um den großen Festplatz sind unter Partyzelten  Stände aufgebaut, an denen Produkte aus der Region feilgeboten werden. Neben Käse, Wurst, Olivenöl, Wein und eingelegtem Gemüse bietet auch das Kunsthandwerk seine  Produkte an. An einem Stand führen Frauen vor, wie Seidenfäden aus den Kokons der Seidenraupe gewonnen werden: Die Kokons werden in einem Kessel voll heißem Wassers  ausgekocht, die losen Fäden durch ein Loch in einem über dem Kessel quergespannten Bambusstock gebündelt herausgezogen und dann aufgewickelt.

 Bei einem Korbflechter erstehe ich einen der hübschen Weidenkörbe, der mir als Papierkorb dienen soll. Die Preise sind sehr zivil; für einen großen Topf  des köstlichen  Eukalyptushonigs zahlen wir weniger als tags zuvor für ein kleines Glas Industriehonig aus dem Supermarkt.

Die Frauen des Dorfes haben an einer langen Tafel köstliche kalabresische Spezialitäten  aufgetragen: Kartoffel-Gurkensalat mit Tomaten, scharfen Gemüseeintopf mit Zwiebeln, frittierte Zucchini und Auberginen, polpette genannte kleine Fleischbällchen, Salat aus weißen  Bohnen  und Thunfisch, Nudeln in Tomatensauce, gebratener Kartoffelbrei mit Ei und vieles mehr. An einem anderen Stand werden Fleisch und würzige Bratwürste gegrillt, die, bevor sie zwischen die  beiden Semmelteile wandern, noch mit einer Olivenöl-Kräuter-Sauce beträufelt werden. Lecker! Weiter hinten zeigen die Frauen aus Coccorino, was sie im Kuchenbacken drauf haben. Eine Riesenauswahl an dolce erfreut den Gaumen. Jeder kann nehmen so viel er will, die Spende ist freiwillig.

Kalabrien Coccorino EU-FestEs wird aber auch ein Augen- und Ohrenschmaus geboten: die „Giuvani Calabrisi“, geben kalabrische Volksmusik und -tanz zum Besten. Die Frauen tragen über roten Unterröcken blaue Röcke mit  Brokatschürzen, die schwarzen Oberteile schmücken fransenbesetzte, violette Brusttücher, die schlanken Hälse zieren Kropfbänder. Die Tracht der Männer besteht aus rotkarierten Westen und aus mit roten Schärpen  umgürteten schwarzen Hosen. Getanzt werden verschiedene Arten des temperamentvollen  pizzicatto, was soviel heißt wie „Kniff, kleiner Biss“. Dieser Tanz stellt  eine Art Balz dar; die Anmache zwischen den Geschlechtern wird trefflich vorgeführt. Die von den Sängern ausgestoßenen Jauchzer erinnern an bayerische Jodler. Plötzlich tanzen  zwei große, von Menschen geführte Puppen aus Pappmaché auf die Bühne: die Riesen Mata e Grifone sollen die Verbindung der einheimischen Bevölkerung mit den Mauren  symbolisieren. Spät abends bildet ein großes Feuerwerk den Abschluss des Tages. Ein schönes Fest ... und schön, dass Kalabrien ein Teil Europas ist!

 Auf dem Nachhauseweg kommen wir am Kirchplatz vorbei, wo Kinder um diese Uhrzeit noch Fußball spielen. Hier wohnt Domenico mit seiner Familie. Er ist nicht zu sehen, aber  sein Handy und seine Geldbörse liegen unbeaufsichtigt auf einer Parkbank. Die Angst vor Diebstählen scheint hier nicht sehr verbreitet zu sein.

Kalabrien S.MariaAm nächsten Morgen erkunden wir die Gegend am Meer. Das kurvige Sträßchen  hinunter zum Strand ist von hohem Gras umsäumt, durchsetzt von bunten Wiesenblumen, dazwischen knorrige Eichenbäume, stachelige Kakteen und buschige macchia.Ein würziger Duft liegt in der Luft. Wir erreichen den kleinen Badeort Santa Maria mit seinem  schönen Sandstrand. Der Sand geht im Wasser leider gleich in große Steine über, die ein Laufen im Wasser mühselig machen. Doch kaum untergetaucht, stellt sich Genuss pur ein: das tiefblaue, reine Wasser des Thyrenischen  Meeres erfrischt die Lebensgeister.

Nach dieser Erfrischung geht es mit dem  Auto weiter zu KalabrienCapo Vaticanodem nur wenige Kilometer entfernten Capo Vaticano. Ein Rundweg führt um das Kap herum, vorbei am Leuchtturm, entlang der schroffen Küste. Ein Augenschmaus, wenn langsam die  Sonne im Meer versinkt und die Natur in ein orange-violettes Licht getaucht wird.

Bei unserer Rückkehr gießt Domenico seinen neben unserem schmucken Häuschen angelegten Gemüsegarten. Sogleich versorgt er uns mit frischem Salat, Kartoffeln und  köstlichen Erdbeeren. Auf jede unserer Fragen oder Bitten antwortet der fleißige Domenico im besten Münchnerisch: „Des mach ma scho!“. Wir fühlen uns wie zu Hause und sind auch  nicht überrascht, als vor der Haustür Mieze „Fritzchen“ auf uns wartet und um ein Leckerli bettelt. Etwas weiter vom Haus entfernt ist Domenicos Ferkel, das sich auch immer über  einen Besuch freut, in einem kleinen Stall untergebracht. Es soll im Winter zu Salami verwurstet werden. Doch jetzt Kalabrien genießt es noch das Wühlen in seinem Schweinetrog. Wir erleben hier Agritourismus im Kleinformat.  Und Heimwerker-Ratschläge bekommen wir von Domenico auch noch gratis: man soll Kalk vor dem Streichen immer Salz beimischen, dann hält die Farbe länger. Danke für den Tipp!

Am nächsten Tag folgen wir von Coccorino aus der Ausschilderung auf den  Monte Poro. Längs der Straße erstrecken sich blühende Wiesen, durchsetzt von fröhlich gelbem  Ginster und tiefblauen Disteln. Als plötzlich neben unserem Auto ein Bussard hochfliegt, schrecken wir zusammen. Am Gipfel des Monte Poro angelangt, erwarten uns erst einmal  Handymasten und leerstehende Fabrikgebäude, dazwischen grasen Schafe. Doch nur ein kurzes Stück weiter erreichen wir das kleine Kloster mit seiner Kirche Madonna del Carmine. Das Kloster und seine Umgebung sind eine richtige Sommerfrische. Die hohen Bäume eines kleinen Parks sorgen in der Mittagshitze für eine angenehme Kühle. Die  wohltuende Stille wird nur durch Vogelgezwitscher unterbrochen. Außerhalb des Klosters  sind Verkaufsstände des immer montags stattfindenden Markts aufgebaut. Wir versorgen uns mit köstlich würzigem Schafskäse und bekommen noch ein Stück selbstgemachte Salami, dugia genannt,  geschenkt. Die Salami ist weich wie Mettwurst, und der wohlbeleibte, sonnig-plaudernde Verkäufer rät, sie mit etwas Zwiebeln und Tomaten anzubraten. Das ergäbe eine köstliche Pastasauce, molto picante! , erklärt er strahlend. Da macht das nebenan mit duftenden Pizzas lockende Restaurant La Pineta mit uns natürlich kein Geschäft.

 Vor dem Park füllen Frauen aus einem gefassten Brunnen Wasser in Plastikflaschen ab. Sie versichern uns, es handele sich um ganz ausgezeichnetes Trinkwasser. Ja,  dann füllen  wir unsere Plastikflaschen halt auch. Die Mineralwasserindustrie macht in Kalabrien bestimmt keine guten Geschäfte. Domenico hatte uns auch schon zu einer gefassten  Quelle in der Nähe unseres Häuschens geführt, wo wir Trinkwasser abfüllen könnten.

Kalabrien Monte Poro Markt

zu TEIL 1:
Coccorino:
Zimmer mit Aussicht


 

zu TEIL 2:
Ausflüge in Südkalabriens Bergwelt

 

zu TEIL 3:
Die Westküste Südkalabriens - entlang des Tyrrhenischen Meeres

zu TEIL 4:
Der Osten Südkalabriens - entlang des Ionischen Meeres
 

Kalabrien Teufelsmaske

 

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