Schon bald nach unserer Ankunft in Genua wird uns gewahr, dass man hier im Hafen an einer Grenze zwischen Europa und den anderen Kontinenten angekommen ist. Viele verschiedene Welten begegnen sich, alle Ethnien und Hautfarben sind vertreten, bereits hier ist der erste Kontakt zu Afrika beziehungsweise seinen Menschen hergestellt. .
Nur einen Steinwurf von den Fünf-Sterne-Hotels entfernt trifft man auf zwielichtige Hafenkaschemmen, vor denen abends Nutten aus einem Bus geladen werden. Die kleinen, dunklen Gässchen hinter der schmucken Hafenpromenade haben schon lange keine Müllabfuhr mehr gesehen, doch dazwischen finden sich - ganz schnuckelig – kleine 3-Sterne-Hotels, z.B. das Hotel Galle. (Die Adressen und Preise der im Reisebericht erwähnten Hotels befinden sich im Anhang; es handelt sich dabei um eine vollkommen willkürlich getroffene Auswahl.) Die großzügig geschnittenen Zimmer sind nett eingerichtete und das Superbad hat eine ausgesprochen sexy Düsenbadewanne. Am Morgen beim Frühstück entdecken wir den großen Buddha in der Eingangshalle und bei genauerer Betrachtung der die Wände schmückenden Bilder fällt uns auf, dass deren Motive aus der asiatischen Mythenwelt stammen. Der Empfangschef ist ein Filipino und die Zimmermädchen kommen aus Lateinamerika. Da tut es auch kein Wunder, dass uns gestern Abend ein chinesisches Restaurant empfohlen wurde, das sich in der verlotterten Hafenaltstadt als Oase ausnahm: einfach, aber sehr sauber, wohlschmeckend und bekömmlich die Küche, die Preise für italienische Verhältnisse schier unglaublich: die Frühlingsrolle gab es für einen Euro, das Hauptessen für vier. Wir müssen an einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung von vergangener Woche denken, in dem berichtet wurde, wie sich die Chinesen in den norditalienischen Städten einkaufen und diese zum Leidwesen der einheimischen Bevölkerung mit Fleiß und Selbstgenügsamkeit erobern.
Als wir abends auf einer Bank vor unserem Hotel sitzen und noch ein Zigarrchen rauchen, beobachten wir zwei junge, schwarze Burschen, die sich auffällig unauffällig an einem teuren BMW herumdrücken und gerade Einsteigen wollen, als ein Polizeiauto in der Nähe hält. Genauso auffällig unauffällig heben sie ihre Hintern wieder aus der Nobelkarosse heraus und schlendern davon. Sollen wir trotz dieser Beobachtung den Beteuerungen unseres Nachtportiers vertrauen, wir könnten das voll gepackte Auto ohne Bedenken die ganze Nacht vor dem Hotel parken? Mangels anderer Abstellmöglichkeiten tun wir es - und finden das Auto am nächsten Morgen zu unserer Freude tatsächlich unversehrt vor.
Bei schönstem Sommerwetter legen wir mit etwas Verspätung gegen 14 Uhr von Genua ab. Die Überfahrt nach Tanger auf der OUZOUD, die zur Flotte der Comanav-Schifffahrtsgesellschaf t gehört, soll 48 Stunden dauern. Unser Ticket beinhaltet Vollpension und so werden wir schon kurz nach der Abfahrt zum Mittagessen ins Restaurant gebeten. Als Vorspeise wird uns eine Art Waldorfsalat mit Sellerie, Rosinen, Ei, Gurken- und Tomatenscheiben serviert, den Hauptgang bildet ein Hühnercurry und als Dessert gibt es einen Apfel. So bekommen wir einen Vorgeschmack auf die leckere marokkanische Küche. Natürlich steht zum Essen ausreichend Mineralwasser auf den Tischen.
Die OUZOUD ist nicht mehr die Jüngste und so steht es mit dem Zustand unserer Kabine leider nicht zum Allerbesten. Dieses Manko macht jedoch der fröhliche Charme des jungen Barkeepers wett, der uns mit einem fröhlich-herzlichen „Bienvenu à Maroc“ willkommen heißt, als wir unseren ersten marokkanischen Pfefferminztee bestellen. Ich fange an, mich richtig auf Marokko zu freuen!
Unsere Tischnachbarn sind ein älteres italienisches Ehepaar, ebenfalls alte Globetrotter, mit denen wir Sahara- und sonstige Reiseerfahrungen austauschen.
Das Wetter ist gut, das Meer ruhig und die Tage am Schiff vergehen wie im Fluge. Zur Kurzweile trägt auch ein Musiker bei, der nachmittags im Salon auftritt. Seine Geige hält er senkrecht und stützt sie beim Fiedeln auf dem linken Knie ab; er singt dazu und bedient gleichzeitig einen Synthesizer. Ein älterer, groß gewachsener Marokkaner in Dschelaba tanzt spontan mit großen Hüftschwüngen zur Musik, andere klatschen, weitere Männer springen auf und tanzen mit. Wie natürlich hier unter fast ausschließlich marokkanischen Familien diese Freude an Musik und Tanz wirkt! Ein Hauch spontanen Lusterlebens – war es unter anderem auch das, was einst Marokko zum bevorzugten Ziel der Bohème machte?
Als sich herausstellt, dass am Schiff die Zettel für die Zollformalitäten ausgegangen sind, regt uns das schon nicht mehr richtig auf. Das etwas andere Lebensgefühl, das mit Geduld und Gelassenheit einher geht und im Gegensatz zu dem durch unseren allumfassenden Drang zum Perfektionismus hervorgerufenen Stress steht, ergreift schon hier am Schiff langsam von uns Besitz. Darauf stoßen wir doch nach dem Fisch in Safransauce mit einem marokkanischen Bierchen – beides lecker – an.
Endlich erreichen wir die Straße von Gibraltar. Europa liegt rechts von uns, während sich zur Linken die Küste Afrikas erstreckt. Deutlich erkennen wir in einer lang gestreckten Bucht die weißen Häuser der spanischen Enklave Ceuta. Nachdem wir die Meerenge durchfahren haben, liegt die Weite des Atlantiks vor uns. Doch schon dreht das Schiff nach links und hält auf die Bucht von Tanger zu.
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