VON MÜNCHEN NACH SEBHA
Am 18.02.2005 um 9.00 Uhr starten wir - wie gewohnt bei Minusgraden und Schneetreiben - unsere diesjährige Saharatour von Hofolding bei München Richtung Genua. Wir, das sind mein Bruder Rüdiger, unser Freund Dietschi und ich, sind unterwegs mit zwei Ex-THW Doppelkabiner Magirus 170 D 11 und einem Motorrad, huckepack aufgeladen auf einen der Lkw. Wir werden die Trucks bis Sebha fahren, wo unsere Freunde, die weniger Zeit zur Verfügung haben, einfliegen und den zweiten Truck übernehmen. Mein Bruder wird dort auf seine superleichte Suzuki umsteigen.
Die Fahrt nach Genua und der anschließende Fährtransfer nach Tunis verlaufen problemlos. In Tunesien verbringen wir noch zwei ruhige Tage bei Freunden in einem Luxuslandhaus zwanzig Kilometer südlich von Tunis.
Kurz vor der tunesisch-libyschen Grenze machen wir das erste Lager, um am nächsten Tag frühzeitig die Grenze passieren zu können. Tunesien out – kein Problem. Libyen i: Hier werden wir von zwei Männern der Reiseagentur „Africatours Libya“ empfangen, die sich als unsere Reisebegleiter vorstellen. Die Agentur „Africatous Libya“ und ihre Mitarbeiter, die sehr zuverlässig und seriös arbeiten, können wir übrigens nur empfehlen (africatours.ly@hotmail.com). Hassib, unser Begleiter, und Captain Abdu, unser security-man, ziehen mit uns in flottem Tempo das Einreiseprozedere durch.
Dann geht es mehr oder weniger zügig voran - der Verkehr hat in Libyen, speziell an der Küste, stark zugenommen - in Richtung Tripoli, dann ein Südschwung Richtung Sebha. In einem Tal des Jebel Nafusah schlagen wir unser erstes Libyenlager auf. Da die beiden Magirus auf den Steigungen einen starken Leistungsabfall hatten, verbringen wir die ersten drei Stunden des nächsten Vormittags mit der Reinigung der Kraftstoffanlagen (Vorfilter und Hauptfilter sind verstopft). Wir haben die Ursache unseres Problems gefunden.
Weil wir es an diesem Tag nicht mehr bis Sebha schaffen, lagern wir 150 Kilometer nördlich der Stadt in den Ausläufern des Jebel Hasawinh. Wir genießen einen wunderschönen warmen Wüstenabend und sitzen noch lange in T-Shirts draußen. Hassib verzichtet auf ein Zelt, weil er die laue Nacht unter dem Firmament verbringen möchte. Irgendwann nach Mitternacht meine ich, aus einem Alptraum mit Wetterleuchten, Blitzen und Donnergrollen zu erwachen. Aber es ist kein Traum! Hellwach verfolge ich das unglaubliche Spektakel eines sich ankündigenden Tropengewitters mitten in der Sahara! Hastig verstauen wir unsere Campingutensilien regensicher. Hassib flüchtet zu Abdu in den Lkw, wo er sich bald mit lautem Schnarchen für die freundliche Aufnahme revanchiert. Inzwischen fallen die ersten schweren Tropfen, die sich schnell zum Wolkenbruch entwickeln. Dann lässt der Regen plötzlich nach und es trommelt schwere Hagelkörner auf die Kabinendächer unserer Autos. Was für eine Geräuschkulisse für eine Wüstennacht! Dann ist der Spuk plötzlich vorbei und am nächsten Tag scheint wie eh und je die Sonne. Nach jahrelanger Saharaerfahrung müssen wir das Wüstenklima wohl neu definieren. Letztes Jahr stand Ende Februar die halbe libysche Sahara unter Wasser und nun dies. Ist das der beginnende Klimawandel?
In Sebha angekommen, versorgen wir uns vorsorglich mit genügend neuen Kraftstofffiltern und lassen Auspufftopf und -rohr von einem ägyptischen Schweißkünstler – die Handwerker hier sind meistens Fremdarbeiter aus Ägypten und Nigeria – für sage und schreibe nur 45 Dinar schweißen. Anschließend geht es weiter zum Campingplatz, wo in zwei Tagen unsere Freunde ankommen werden.
Der Campingplatz ist inmitten eines kleinen Zoos mit Mufflons, Gazellen, Schakalen, Feneks, Straussen und anderen Tieren gelegen und ein wirklicher Geheimtipp. Er wird in der Regel nur von einheimischen Agenturen angefahren, deshalb weist auch kein Straßenschild auf ihn hin. Gepflegter Palmengrund zum Campen, ein kleines Restaurant und pikfeine Rundhütten für den, der es komfortabler liebt, sowie saubere sanitäre Anlagen sorgen für einen entspannten Aufenthalt. Der Platz liegt 15 Kilometer außerhalb Sebhas Richtung West Ubari/Germa. (Nach der Kreuzung Ubari-Murzuk ca. 400 Meter Richtung Ubari weiterfahren, dann geht es rechts in eine Sandstraße ungefähr 200 Meter bis zu einem großen, eisernen Tor. Auf Hupen wird geöffnet).
ÜBER WAU EL KEBIR ZUM WAU EN NAMUS
Endlich sind unsere Freunde – Temo, Tina, Michael, Lisa und Fritz – leicht verspätet über München-Budapest-Tripoli eingetroffen. Nun kann es auf große Tour gehen.
Da diesmal unsere Route in den sehr abgelegenen und teilweise verminten südöstlichen Teil der libyschen Sahara führt (Wau en Namus, Klingue Pass, Dohone-Tibesti, Rebianah Sandsee) mussten wir aus Sicherheitsgründen zusätzlich einen Führer mit eigenem Toyota Landcruiser nehmen. Weil unsere Gruppe aus acht Leuten besteht, sind die Kosten allerdings immer noch vertretbar, zumal unsere Begleiter Selbstversorger sind.
Pünktlich steht unsere Begleitmannschaft, bereichert durch Salah, den Führer, und Osama, den Toyota-driver, bereit zur Abfahrt. Am späten Nachmittag werden wir von Salah in Zuweila zu einem opulenten Essen in sein Haus eingeladen. Salah ist 68 Jahre alt und eine Persönlichkeit, der, wie wir im Verlauf der Reise bemerken werden, überall Respekt gezollt wird.
Am nächsten Morgen fahren wir nicht durch Timsah, sondern biegen vor der Ortschaft rechts ab und fahren durch das Sandfeld Richtung Wau el Kebir. Seit Tagen herrscht eine für diese Jahreszeit ungewöhnliche Hitze und der aus dem Süden wehende „Hamattan“ verwandelt die Wüste mit seinem mitgeführten Feinstaub in eine diffuse Nebellandschaft.
Der Militärposten auf der Passhöhe vor Wau el Kebir ist wieder besetzt und unsere Papiere und Passierscheine werden gründlich geprüft. Überhaupt sind im März die Kontrollen erheblich verschärft worden. Wie uns gesagt wird, seien der Grund dafür egoistische Individualreisende, die sich ihrer Führer entledigen würden und dann nach eigenem Routenplan unterwegs seien ohne sich an den Checkpoints zu melden. Da dieses Checkpoint-System in erster Linie der Sicherheit der Reisenden und nicht der Abzocke dient, herrscht natürlich bei den Agenturen und Behörden einige Aufregung ob des zeitweiligen Verschwindens der Touristen. Diese Touristen, die oft zu Hause auch noch damit prahlen, wie sie sich ihrer Begleiter entledigt hätten, und sich unisono über die Gesetze des Gastlandes hinwegsetzen, betrachten Afrika wohl immer noch als koloniale Spielwiese des weißen Mannes.
Wir lagern im Wau el Kebir und machen bei der Pumpstation der company wieder unsere Tanks voll. Vor Wau en Namus, auf der Spitze eines kleineren Kraters, ist nochmals ein Militärposten, den aber nur unsere Begleiter anfahren.
Der in dichte Staubwolken gehüllte Krater des Wau en Namus ist für uns eine Enttäuschung, so dass wir bald in Richtung Südost weiter fahren. Durch tiefe Fesch-Fesch-Felder wühlen wir uns die ersten 20 Kilometer bis endlich der Untergrund härter wird. Nach problemloser Fahrt entlang der Dünenzüge der Rebianah Sand Sea treffen wir auf die alte italienische Wau-el-Kebir-Kufra-Aozou- Piste. Auf dieser geht es dann nach Osten in Richtung Klingue-Pass.
ÜBER DEN KLINGUE-PASS INS DOHANE-GEBIET
Die Westseite des Jebel Eghei ist eine mit skurrilen Steinformationen (Tiergestalten, Hohlfelsen etc.) und grobkörnigen, weißen Sandtälern durchsetzte Wüstenlandschaft. Salah, unser Führer, der die Ostsahara wie seine Westentasche zu kennen scheint, führt uns oft zu nur wenig abseits der Piste gelegenen fantastischen Versteinerungen unter anderem auch solche von Schilfrohrstängeln. Die „Alleinfahrer“ kriegen natürlich mangels Ortskenntnis von dieser Seite der Wüste gar nichts mit und rauschen, den Blick angespannt auf die Spurrillen geheftet, an allem vorbei.
Nach einem Abstecher nach Zouma – einer uralten Amazonitabbaustelle – geht es über ein Geröllplateau Richtung Klinguepass. Nach dem Plateau eröffnet sich uns eine grandiose Wüstenlandschaft mit dem Kathedralberg als Mittelpunkt. Da es sich hier um eine der überwältigendsten Formationen handelt, die wir je in der Sahara gesehen haben, beschließen wir, frühzeitig auf einer sandigen Terrasse mit Panoramablick zu lagern und die einzigartige Landschaft auf uns wirken zu lassen. Die bizarren Steilwände, Zyklopenfelsen und Sanddünen verändern je nach Sonnenstand ihre Farben und geben dem Betrachter das Gefühl, sich in einer unwirklichen Zauberwelt zu befinden.
Beim Aufbruch am nächsten Tag stehen wir alle unter einer gewissen Spannung, gibt es doch den wenige Kilometer entfernten, verminten Klinguepasse zu überqueren. Mein Bruder, der Biker, hat Anweisung, in dieser Passage aus Sicherheitsgründen mit seiner Enduro in den Spurrillen der Lkws zu fahren. Wir sehen den Pass vor uns, in der Mitte ein Felssattel und links und rechts die Sandpassagen. Wir sehen aber auch, dass kurz vor dem Pass das Wrack eines Pickups steht und auf der rechten Sandpassage das relativ gut erhaltene Wrack eines Magirus-Mercur-Wohnmobils. Hinter dem Toyota kriechen wir neben der verminten Sandpassage auf einer Umgehungspiste mit felsigem Untergrund im Schneckentempo den Pass hinauf. Da die Abfahrt für unsere Brummis teilweise zu eng ist, machen wir den Vorschlag, ganz links abzufahren, dort, wo der Buckel von einer Sandwehe begrenzt ist. Salah schüttelt entsetzt den Kopf und erklärt, überall wo Sand ist, können Minen vergraben sein. So bleibt uns nichts anderes übrig, als die Abfahrt in den Spitzkehren mit Schaufel und Beil abzutragen beziehungsweise mit Felsbrocken zu verbreitern. Durchgeschwitzt aber erleichtert kommen wir endlich unten an, mit der Gewissheit, für Nachfolgende eine gute Passage gebaut zu haben.
Nach einigen Kilometern kreuzen wir die Piste Richtung Tschad und machen einen Südschwenk, um auf dieser Piste in das Dohonegebirge, den nördlichen Ausläufer des Tibesti, zu gelangen. Das Dohone, welches leider teilweise auch vermint sein soll, ist dem Tassiligebirge ähnlich und gehört mit seinen Felstürmen und gezackten Bergrücken zwischen weiten, hügeligen Sandfeldern mit zu dem landschaftlich Schönsten, was die Sahara zu bieten hat. Auch hier gibt es, teilweise in richtigen Höhlen, wunderschöne Felszeichnungen. Da unsere Begleiter zusehends nervös werden, weil sie in diesem Gebiet Banditen vermuten, machen wir 60 Kilometer vor der Tschadgrenze unseren Umkehrschwung.
DURCH DIE REBIANAH-SANDSEE
Es geht also wieder nordwärts durch die Dünen der Rebianah Sand Sea zu der Oase Rebianah. Wegen eines Sandsturms verpassen wir den richtigen Einstieg und wühlen und schaufeln uns mit unseren Lkws die ersten 30 Kilometer mühsam vorwärts. Dann haben wir die richtigen Dünentäler gefunden und es läuft ganz passabel. Der Sandsturm ist inzwischen so heftig geworden, dass sogar die Lkw-Spuren nach fünf Minuten zugeweht sind. Aus Sicherheitsgründen ist also Fahren auf Sichtweite angesagt, denn wer jetzt in dem Dünenlabyrinth den Anschluss verpasst, bekommt große Probleme. Dies gilt vor allem für den Motorradfahrer, den wir in die Mitte nehmen. Am nächsten Tag hat sich der Sturm etwas gelegt und wir erreichen nach flotter Fahrt die Oase Rebianah.
Nach Anmeldung bei der Polizei versorgen wir uns mit Wasser, Brot und Keksen. Für den Toyota und das Motorrad gibt es Benzin an der Tankstelle, Diesel erhält leider nur das Militär.
Wir verlassen Rebianah und fahren weiter durch die Dünenlandschaft Richtung Tazerbo. Dann, 40 Kilometer hinter Rebianah, haben wir ein Problem. Bei einem Freifahrversuch nach Einsanden bohrt sich ein Sandblech in die Ölwanne, die platzt. Das war’s dann – Ende der Fahnenstange! Von wegen! „No problem!“, sagen unsere Begleiter, für die solche Breakdowns auch zur Wüstenroutine gehören. Nach Überwindung des Schocks und kurzer Beratung fährt der Toyota mit Salah und Michael, der die Verhandlungen führen soll, nach Tazerbo , um eventuell einen „Supertruck“ aufzutreiben, der den Magirus huckepack nehmen könnte. Am späten Nachmittag bekommen wir über Satellitentelefon einen Anruf von Michael. Salah sei ein guter Freund des Patrons von Tazerbo, der zugleich Fuhrunternehmer ist: Der Truck sei organisiert, der Preis (nur 300 Euro) gehe in Ordnung und nachts kämen sie zu uns zurück.
Für alle Fälle beleuchten wir unser Lager und legen uns schlafen. Gegen zwei Uhr nachts werden wir durch Motorengeräusche geweckt und der Toyota mit einem 3-Achser-Mercedes 2632 6x6 im Schlepptau rollt ins Lager. Großes Hallo, dann legen sich alle noch mal auf’s Ohr.
Am nächsten Vormittag bauen wir mit Sand, Wasser und Sandblechen eine provisorische Rampe, über die der Magirus mit Seilwinde und Manpower auf den Mercedes-Truck gehieft wird. Gegen Mittag sind wir mit allen Arbeiten fertig und es geht Huckepack Richtung Tazerbo. Dietschi und ich lassen uns die Gelegenheit des einmaligen Fahrerlebnisses, mit Blickrichtung nach hinten, auf dem festgezurrten Magirus nicht entgehen. Es ist schlichtweg beeindruckend wie ruhig und sicher der schwer beladene Mercedes – der Standardtruck des Saharahandels – sich durch das Dünenmeer bewegt. Bleiben vor uns der Toyota und der andere Magirus in einem Sandloch stecken, umrunden wir die Ärmsten und entschwinden für lange Zeit aus deren Sichtweite. Bleiben jedoch wir mit den Vorderrädern in einem Sandloch stecken oder schaffte der Mercedes eine Dünenauffahrt nicht, legte der Fahrer den Rückwärtsgang ein, und die beiden zwillingsbereiften Hinterachsen, die sich nie eingraben und immer satt auf dem Sand liegen, ziehen den Truck wieder auf festeren Grund, um anschließend eine leichtere Umfahrung zu suchen. Dies ist für uns eine hautnahe Demonstration, mit welcher Selbstverständlichkeit diese modernen „Wüstenkreuzer“ sich ihren Weg bahnen und allenfalls die steileren Dünenzüge umfahren müssen.
Nach sechs Stunden und 160 Kilometern erreichen wir abends Tazerbo. Ersatzteilbeschaffung in Bengasi und Reparatur dauern drei Tage, in denen wir ein idyllisches Lager im bewässerten Palmenhain der Familia Mufta aufschlagen.
Anschließend geht die Reise über Jalu, Zilla, Misratah, Leptis Magna nach Tripolis, von wo ein Teil der Gruppe nach Hause fliegt.
In Ras Ajdir, bei der Ausreise aus Libyen, müssen wir erstmalig - wie auch alle anderen Touristen - die Autos komplett entladen, weil auch in Libyen Kulturvandalen versucht hatten, archäologische Artefakte und Felsbilder zu stehlen, um damit auf dem Schwarzmarkt Geld zu machen. Diese geldgierigen Kulturschänder sind der Grund, warum ich in diesem Bericht auf die Angabe von GPS-Positionspunkten interessanter Fundorte verzichtet habe.
Hellmut Gutsche, 2005
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