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Meknes: In Meknes angekommen, lotst uns auf unsere Nachfrage ein junger Mann zu dem ganz in der Nähe des Rathausplatzes gelegenen Hotel Palace. Freundlich wünscht er uns eine schöne Zeit in der Stadt. Wir können in der Tiefgarage des Hotels parken und beziehen ein sehr geräumiges Zimmer mit Bad und Balkon.
Bei unserem ersten Bummel in der Neustadt mit ihren vielen Geschäften werde ich zum ersten Mal von einer tief verschleierten Frau angebettelt, was mich merkwürdig berührt. Für mein Almosen bedankt sie sich mit vielen guten Wünschen.
Wir suchen ein Internet-Café auf, das hier Cyber-Café heißt, und versuchen, uns mit der andersartigen Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur vertraut zu machen. Ein junger Mann, Deutschlehrer an einer Privatschule und deshalb bestens mit unserer Sprache vertraut, ist behilflich.
Als wir wieder einmal unser Glück an den Bankautomaten probieren, nehmen diese unsere Kreditkarten schon wieder nicht an. An den Bankschaltern kann man uns auch nicht weiter helfen. Es kann dort nur Bargeld gewechselt werden und davon haben wir nicht mehr viel. Auch ein verzweifelter Anruf bei unserer Bank in München bringt uns nicht weiter. Dort kann man sich das auch nicht erklären.
Wir schieben das Problem erst einmal auf und folgen dem Boulevard Circulaire, der durch ein schönes Villenviertel der Neustadt von Meknes führt. Unser Ziel ist ist die Medina. Nach Überquerung einer viel befahrenen neuen Straße gelangen wir zum Bab Tizim, durch das wir in das Gassengewirr der Medina eintauchen, wo wir uns ziel- und planlos durch die Gassen treiben lassen. Das Alltagsleben fließt hier behäbig dahin. Die zum Teil wirklich nur Schachtel großen Läden haben alle geöffnet. In ihnen ist oft gerade mal Platz für den Ladenbesitzer, um mit verschränkt untergeschlagenen Beinen zu sitzen und zu arbeiten, z.B. an einer Dschelaba zu nähen. Verstohlen werfen wir einen Blick durch eine geöffnete Tür auf ein Kämmerchen, in dem der Raum gerade für ein Bett reicht, auf dem ein Alter sitzt und einen Tee schlürft. Viele Leute sind ohne Eile und Hektik unterwegs beim Einkaufen, Das Leben plätschert behäbig dahin. Auch die vielen Katzen strömen Gelassenheit aus; sie sind alle gut genährt – sicher gibt es hier in der Medina viele Mäuse - und hübsch anzusehen mit ihren dreieckig geformten Gesichtchen. Wir werden von den Einheimischen freundlich begrüßt, niemand versucht uns etwas zu verkaufen, auch scheinen wir heute die einzigen Touristen zu sein, die unterwegs sind.
Durch die gewundenen Gassen, die wie auch die meisten Häuser ockerfarben getüncht sind, vorbei an etlichen Moscheen erreichen wir den überdachten Souk. Auch hier herrscht ruhige Gelassenheit, so dass es richtig Spaß macht, einen Boss-Gürtel für 45 Dirham und eine kleine Louis-Vuitton-Tasche für 75 Dirham zu erstehen. Wie wir meinen, haben wir sehr kunstgerecht den Preis ausgehandelt: zuerst heuchelten wir Entrüstung über dessen Höhe und boten nur die Hälfte des Verlangten, worauf ein emsiges Feilschen einsetzte, während dessen sich unsere Preisvorstellungen und die des Verkäufers langsam annäherten. Als die Verhandlungen an einem bestimmten Punkt ins Stocken gerieten, sahen wir uns zu einem Rückzieher veranlasst und wandten uns zum Gehen. Wie freuten wir uns, als es funktionierte und uns der Händler zurück rief, damit wir uns mit Handschlag auf einen, wie wir meinten, für beide Seiten fairen Endpreis einigen konnten.
In einem kleinen Handwerkerhof stärken wir uns in einem Café mit Pfefferminztee und schauen den Stuckateuren bei der Arbeit zu. Gleich daneben befindet sich die Medersa Bou Inania. Diese leider schon etwas dem Verfall ausgesetzte Koranschule aus dem 14. Jahrhundert kann besichtigt werden und es bietet sich von ihrem Dach aus ein wunderbarer Blick auf die Große Moschee und ihr Minarett. Leider ist die Große Moschee selbst nicht zu besichtigen, denn in Marokko dürfen Moscheen von Andersgläubigen nicht betreten werden. Dies geht auf ein Dekret der Franzosen zurück.
Wir können den Verlockungen nicht widerstehen: es gibt so wunderbar dekorierte Stände mit den köstlichsten Nüssen, Datteln und Süßigkeiten. Um all unsere Einkäufe transportieren zu können, kaufen wir einen hübschen, geflochtenen Korb für 10 Dirham. Er hat die typisch kurzen Henkel, dazu gedacht, den Korb an Eseln und Mulis befestigen zu können. Diese fleißigen, braven Tiere müssen hier in den engen Gassen der Medina den ganzen Transport bewerkstelligen und werden mit Zementsäcken, Gasflaschen, Fellen, Gemüse, Brot und vielem anderen oft maßlos überladen.
Nach dem äußerst malerischen „Markt der Garne“ – in jedem der vielen Läden stapeln sich unzählige farbige Garnspulen – erreichen wir das von einem christlichen Architekten geplante und mit Spolien aus Volubilis geschmückte Bab el Mansour, wohl das bekannteste Tor Marokkos, das an einer stark befahrenen Straße liegt.
Dem Tor gegenüber befindet sich der Place el Hédim, der kleine Bruder des berühmten Jemaa el Fna von Marrakesch. In den vielen kleinen Restaurants, die den Platz säumen, kann man wunderbar speisen. Abends herrscht hier buntes Treiben. Gaukler, Schlangenbeschwörer, Wunderheiler, Schießbuden, Reitkamele und vieles mehr ist zu bestaunen, auch ein Händler, der in einer Schüssel Straußeneiern feil bietet. Am Ende des Platzes befindet sich das Dar- Jamai-Museum, das marokkanisches Kunsthandwerk beherbergt und in einem wunderbaren Wesirspalast mit herrlichem Garten untergebracht ist.
Durch das Bab Mansour erreichen wir den Place Lalla Aouda mit der gleichnamigen Moschee. Auf dem Weg zum zum Bab Jemaa en Nouar kommen wir an vielen Kutschen mit kleinen Pferdchen vorbei, die am Straßenrand auf fahrwillige Kundschaft warten. Gleich hier, mitten in der Altstadt und neben dem ehemaligen Christengefängnis befindet sich auch der Eingang zum wunderbar angelegten und gepflegten Königlichen Golfplatz. Touristen können sich die Ausrüstung leihen.
Doch wir besichtigen stattdessen lieber das Mausoleum des Moulay Ismail, in dessen Innenhöfen und der Grabmoschee ziemliches Gedränge herrscht. Mouley Ismail gilt als einer der bedeutendsten, aber auch skrupellosesten Herrscher in der Geschichte Marokkos. Er machte Ende des 17. Jahrhunderts Meknes zur neuen Hauptstadt und ließ mit Hilfe von 30.000 schwarzen Sklaven und einigen tausend christlichen Gefangenen eine imperiale Stadt mit Palästen, Gärten, Moscheen, Stallungen und Speichern bauen, die von einer über vierzig Kilometer langen Mauer umgeben war.
Auf dem Spaziergang entlang einer schnurgeraden, ca. einen Kilometer langen Straße, die beidseitig von hohen Palastmauern gesäumt ist, auf denen Storchenpaare nisten und in deren unzähligen Vertiefungen ganze Schwalbenkolonien wohnen, begleitet uns der kleine Assaf. Er zeigt uns das riesige Palast-Tor, das abends um 6 Uhr geschlossen wurde, und von dessen wunderbaren Beschlägen nur noch wenige Reste die Zeit überdauerten.
Erschöpft von unserer Stadttour lassen wir uns in eines dieser praktischen Petits Taxis fallen und für 5 Dirham zurück ins Hotel chauffieren.
Volubilis: Durch eine landschaftlich reizvolle Gegend fahren wir nach Volubilis, der größten römischen Ausgrabung in Marokko. Die Stadt wurde wohl um das Jahr 25 gegründet, war Sitz des obersten Provinzbeamten und erlebte ihre Blüte unter Kaiser Septimus Severus (193-211). Ins Auge stechen sofort der kolossale Triumphbogen des Caracalla, die Überreste der Basilika und das Forum mit seinen Säulen, auf denen sich Störche ihre Nistplätze erbauten. Von einigen Häusern haben sich ganz wunderbare Fußbodenmosaike erhalten. Auf dem Weg zum Tanger-Tor bestaunen wir die alte Ölmühle.
Moulay Idris:Auf der Weiterfahrt erreichen wir den auf eine Hügelkuppe geschmiegten Wallfahrtsort Moulay Idris. Nachdem wir unser Auto vor der Post geparkt haben, begleiten uns zwei nette Jungs zuerst zu einer kleinen Moschee mit dem einzig runden Minarett in Marokko, das rundum mit Kufi-Schriftzeichen auf grünen Kacheln bedeckt ist. Von hier geht es weiter zu zwei Aussichtsterrassen, die jeweils einen Blick auf die Dächer des Ortes und das Mausoleum Moulay Idris gewähren. Moulay Idris gründete um 800 das erste islamisch-marokkanische Königreich. Er gehörte den schiitischen Idrissiden an und galt als direkter Nachkomme Mohammeds bzw. als Nachkomme seiner Tochter Fatima und seines Schwiegersohns Ali. Obwohl der Islam eigentlich keine Heiligenverehrung kennt, setzte sich in Marokko ab dem 14. Jahrhundert die Verehrung heiliger Männer durch. Dies geht wohl auf alte Bräuche der Berbervölker zurück, und heute strömen in den Pilgermonaten Tausende nach Moulay Idris, um für Beistand in ihren Nöten zu beten.
120 Stufen führen von der Aussichtsterrasse mitten durch die Altstadt hinunter zum Place Central. Das Mausoleum selbst dürfen wir leider nicht besichtigen. Kaum haben wir das Auto erreicht und unsere jugendlichen Führer entlohnt, öffnet sich der Himmel und ein schwerer Wolkenbruch prasselt auf uns nieder.
Wir durchfahren den Ort, an dessen Ende ein gut erhaltenes römisches Aquädukt anzutreffen ist.
Dann folgen wir den Ausschilderungen nach Beni-Amar. Als wir den Ort erreichen, entpuppt er sich als Sackgasse. Es ist gerade die Schule aus und unendlich viele lachende und scherzende Kinder umstehen unser Auto, so dass wir kaum wenden können. Gibt es deshalb in Marokko so viele Kinder, weil es hier auch noch so viele Störche gibt? Ein älterer Mann kommt uns zu Hilfe und erklärt, wir müssten drei Kilometer zurück fahren, um wieder auf die Straße Richtung Fes zu kommen.
Fes:Bei der Ankunft in der Königsstadt Fes erstaunt unsdie Modernität und Exklusivität der 1916 von den Franzosen erbauten Ville Nouvelle , mit ihren breit angelegten Boulevards, den mit Blumenrabatten und Springbrunnen geschmückten Plätzen, den modernen Geschäften, den schicken Restaurants und den vielen Menschen, die hier geschäftig unterwegs sind.
Von einem Taxi lassen wir uns zu einem Hotel lotsen, das wir uns im Reiseführer ausgesucht hatten. Doch stellt sich heraus, dass dieses Hotel in ein Ibis-Hotel umgewandelt wurde. Nein, wir wollen richtig marokkanisch wohnen. Ein Passant wird zufällig auf unsere Nöte aufmerksam und empfiehlt uns das in der Medina liegende Hotel Delila. Er steigt bei uns zu und weist den Weg. Wir sind begeistert! Das Hotel ist entzückend, liegt im Altstadtviertel Fes el Bali , gar nicht weit von der berühmten Kairaouine-Moschee entfernt, und hat einen Parkplatz vor dem Haus. Wir beziehen ein originelles Zimmer im vierten Stock mit Balkon und Blick auf den Platz.
Bei einem ersten Spaziergang durch die Medina füllen wir unseren Süßigkeitenvorrat wieder auf. Schnell haben wir bemerkt, dass Fes eine Touristenhochburg ist und die Preise ca. doppelt so hoch sind als im ursprünglicheren Meknes. Für das Abendessen empfiehlt man uns das zwei Ecken entfernte Restaurant Zohra. Das Menü ist sehr gut und wir kosten zum ersten Mal eine Harira , die traditionelle Gemüsesuppe mit Kichererbsen, Lammfleisch und Kreuzkümmel und eine Tajine: in einem Tontopf mit Deckel werden Gemüse und Fleisch auf Holzkohle gegart.
Hier in Fes möchten wir einen Führer nehmen, der uns die Sehenswürdigkeiten zeigt. In den Reiseführern wird vor der Aufdringlichkeit der hiesigen Führer gewarnt und so können wir es kaum zu glauben, dass wir keinen Führer finden können! Verunsichert stehen wir vor unserem Hotel herum. Zufällig kommt der Herr, der uns gestern ins Hotel brachte, die Straße entlang und erkundigt sich nach unserem Ergehen. Nun ja, alles in Ordnung, nur einen Stadtführer hätten wir gern. Er nimmt sich sofort des Problems an, doch dauert es auch bei ihm einige Zeit, bis er mit einem jungen Burschen auftaucht, der reichlich unausgeschlafen wirkt.
Er führt uns als erstes in das Gerberviertel. Von dem Dach eines Ladens aus machen wir die unvermeidlichen und unglaublich malerischen Fotos von den Arbeitern beim Gerben und Färben der Felle. In mit Kalk gefüllten Bottichen wird das Fell vom Leder gelöst. Wir erfahren, dass Kamelleder sehr wertvoll und Schafleder billig ist und dass nur mit Naturfarben gefärbt wird: so ergibt Henna rot, Safran gelb, Indigo blau. Um den anschließenden obligatorischen Ladenbesuch kommen wir natürlich nicht herum. Wir erstehen einen Gürtel aus Kamelleder, den man allerdings zum Nachdunkeln noch mit Olivenöl behandeln muss, rote Babouschen oder Pantöffelchen und eine Geldbörse, die, wie sich später herausstellt, so stark nach Ziege riecht, dass man sie nur in Plastik gewickelt aufbewahren kann. Unser Führer schickt uns voraus auf die Straße, damit er vom Händler noch ungestört seine Provision am Verkaufserlös einstreichen kann.
Nun bewegen wir uns durch verschlungenen Gassen, weichen den schwer bepackten Mulis und Eselchen aus, werfen einen Blick in eine Schmiede-Werkstatt, wo per Hand am offenen Feuer das Metall bearbeitet wird, überqueren das Ouet Fes, in dem sich der Müll häuft, und kommen nach El Andalous, das andalusische Viertel. Dort geht es vorbei an der Andalusier-Moschee , bevor wir die altehrwürdige, leider im Verfall begriffene Medersa es Sahrij besichtigen, in der die Koranschüler aber immer noch ihren Studien nachgehen. Der alte Palast hingegen, in dem die Andalusische Musikschule mit einer kleinen Instrumentensammlung untergebracht ist, befindet sich in einem ganz wunderbaren Zustand. Man fühlt sich hier aus der Zeit gefallen, und es drängt sich in der Ruhe und Abgeschiedenheit des altehrwürdigen Palastes der Gedanke auf, ob nicht unsere westliche Hektik und die sich überschlagenden Neuerungen den Menschen nicht nur schwindelig, sondern auch orientierungslos machen. Wird bei uns nicht eine Jugend heranwachsen, die sich in der Belanglosigkeit und Beliebigkeit verliert? Wie kann es ohne Tradition einen echten Fortschritt geben - und wenn die Tradition nur dazu dient, sie - und damit das Alte – zu überwinden, um etwas Neues zu gestalten? Und muss nicht das Alte die Chance bekommen, sich zu behaupten gegen das Neue, das erst noch den Beweis antreten muss, dass es auch besser ist? In der entspannt-ruhigen Atmosphäre dieser Musikschule breiten sich diese küchen-philosophischen Gedanken zu etwas Gefühltem aus, das sinnlich den Verstand durchdringt.
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Unser unausgeschlafenes Zigaretten-Bürschchen erklärt uns, er wäre kein offizieller Führer und deshalb könne er uns auch nicht zu den großen touristischen Sehenswürdigkeiten bringen, weil er da von der Polizei geschnappt würde. Er könne uns stattdessen in bestimmte Läden führen, in denen wir einkaufen sollen. Wir sind ziemlich sauer und nach längerer Diskussion einigen wir uns darauf, dass wir ihn ausbezahlen, immerhin 150 Dirham, und allein mit einem Taxi zum Dar Batha und Place de l’Istiqlal fahren.
Das war eine gute Entscheidung. Am sehr belebten Place de l’Istiqlal angekommen, finden wir ganz in der Nähe eine BMCI- Bank (Banc Maroc Intern.), deren Automat unsere Kreditkarten annimmt. Als Höchstbetrag können 2000 Dirham abgehoben werden. Auf unser Nachfragen erfahren wir, dass nur bestimmte, in Touristenvierteln gelegene Banken, die europäischen PINs gespeichert haben, und dass man immer das französische Sprachmenü benutzen solle, da das englische häufig nicht funktioniere.
Nun schlendern wir entlang der von Läden und Handwerksbetrieben gesäumten Rue Tala Kebira in das Herz der Medina, dürfen den nicht als Moschee genutzten Teil der wunderbare Medersa Bou Enania besichtigen, kommen vorbei am Zaouia Moulay Idris II., das Grabmal des Stadtgründers und Schutzheiligen der Stadt, und an der im Jahre 862 gestifteten Kairaouine-Moschee mit der daneben liegenden Medersa Attarin aus dem Jahre 1323. Hier war einst das religiöse und geistige Zentrum des islamischen Welt und hier wurde nach Kairo die zweite Universität der Welt gegründet, an der auch Ibn Khaldoun (1332-1406) studierte, der als der bedeutendste Historiker des Mittelalters gilt. Auch Leo Africanus (1490-um 1550) wurde hier ausgebildet, bevor er sich auf Reisen begab und später im Auftrag des Papstes Leo X. in Rom das Werk BESCHREIBUNG AFRIKAS verfasste.
Jetzt ist es Freitagmittag und die Moschee so überfüllt, dass die Fassis – so werden die Bewohner von Fes genannt - bis weit auf die Straße hinaus beim Gebet sitzen. Langsam schließt ein Laden nach dem anderen, die Straßen leeren sich. Manche Frauen sind verschleiert – geheimnisvoll. Obwohl Mittagszeit scheinen die Konturen schärfer als anderswo, wirken die Farben intensiver, das Blau blauer, das Rot roter und das Gelb als wärmendes Ocker. Ein Fest für Sinn und Sinnlichkeit. Neue Türen öffnen sich: zu anderen Zeiten, anderen Orten, anderen Farben, Tönen, Gerüchen und auch zu anderen, noch unbekannten Gefühlen.
Obwohl wir uns ohne Ziel durch die Altstadt treiben lassen, verlaufen wir uns nicht, sondern kommen immer wieder an Plätze oder Gebäude, an denen wir uns orientieren können. Es geht also auch ohne Führer. Ich denke an das Buch FES. SIEBEN UMKREISUNGEN von Stefan Weidner. Die Beschreibung seiner Annäherung an diese Stadt ist auch uns hilfreich.
Die Petits Taxis haben eigene Haltestellen, die angefahren werden, um den wartenden Fahrgast aufzunehmen. Während diese Taxis in Meknes gelb waren, sind sie in Fes rot. Die Grundgebühr von 1,40 Dirham ist jedoch die gleiche. Ein sehr netter Fahrer bringt uns zum Königspalast, der in dem im 13. Jahrhundert von den Meriniden gegründeten Stadtteil Fes el Jedid liegt. Auf dem großen freien Platz vor dem Palast flanieren etliche marokkanische Touristen und lassen sich fotografieren. Könnte es vielleicht ein Vorteil der Monarchie sein, dass ein König schon allen Luxus und Reichtum hat und er sich deshalb nicht in einer kurzen, durch demokratische Wahlen legalisierten Regierungszeit bereichern muss, so wie es etliche afrikanische Staatschefs tun? Er könnte somit freier entscheiden und die tatsächlichen Interessen seines Landes vertreten. Sofort taucht der Einwand auf, ob das, was der König für das Interesse seines Landes hält, auch im Interesse aller Untertanen liegt, die in einem Königreich eben Untertanen und keine Bürger sind? Betrachtet man die Elendsvierteln an den Rändern der Städte, hier Bidon villes genannt und meist hinter Mauern schamhaft versteckt, bedient wohl auch ein König in erster Linie eine bestimmte Gesellschaftsklasse. Folgt man den Ausführungen Tahar Ben Jolloun in seinem Roman VERLASSEN , ist Korruption und Beamtenwillkür in Marokko an der Tagesordnung, und auch Abdellah Hammoudi beschreibt in seinem Buch SAISON IN MEKKA die allgemeine Korruption in seinem Land als „Technik des Regierens“, als „die Ideologie, die in Marokko die meisten Anhänger hat“, als „ein offenes Geheimnis, das einem gesellschaftlichen Konsens obliegt, in dem selbst das Anprangern der Korruption nur rituellen Charakter“ hat.
Wir schlendern die Grand Rue des Merindes entlang, wo unwillkürlich die mehrgeschossigen, mit großen Fenstern und Balkonen ausgestatteten Häuser – für Marokko sehr ungewöhnlich - ins Auge fallen. Dann geht es durch die Bou Khessissat mit ihren vielen Geschäften, bevor wir durch das Bab Semmarin in das ehemalige Judenviertel, genannt, Mellah, gelangen. Auf der Grande Rue de Fes el Jedid herrscht gerade reges Markttreiben, allerdings werden hier nicht die typischen Touristensouvenirs angeboten, sondern dieser Markt ist ein Markt für Einheimische. Billig werden Schuhe und Textilien, Hausrat und lebende Küken verramscht.
Fes: drei Stadtteile – drei Welten – so nah und doch so himmelweit voneinander entfernt!
Obwohl es abends recht frisch geworden ist, sitzen wir auf unserem Hotelbalkon und beobachten von hier oben das Leben im Stadtteil. Es ist ruhig geworden, die Touristen sind in ihre Hotels in der Ville Nouvelle zurückgekehrt. Jetzt verkehren hier nur noch die Bewohner von Fes el Bali. Es befehden sich zwei Kinder-Gangs und werfen mit Steinen aufeinander. Andere Jungs spielen Fußball oder balancieren geschickt auf der hohen Schulhofmauer, bis gegen zehn Uhr ein Junge nach dem anderen langsam nach Hause verschwindet. Alles hat einen bestimmten Ablauf, die Menschen kennen sich und auch wir kennen schon ein paar, zum Beispiel den Mann vom Kiosk, bei dem wir ein paar Mal das Wasser kauften und der uns immer freundlich grüßt, oder den Stoffhändler vom Eck, bei dem man unbedingt noch mal vorbeischauen soll. Und auch der große, schwarze Hund ist schon ein alter Bekannter, der abends immer um den Platz streicht und die Katzen verbellt - schon nach wenigen Tagen ist alles bekannt und vertraut. Man fühlt sich hier sofort ein bisschen zugehörig; das Kiez-Gefühl vermittelt Geborgenheit. So wie es in Marokko viele hohe, unüberwindlich scheinende Mauern gibt, existieren gleichzeitig eine Menge Tore, die Einlass gewähren, und langsam verkleinert sich das Gefühl, in dieser Kultur nur schwerfällig herum zu tappen.
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